Samstag, 15. Oktober 2011

Das Zeug, mit dem man Mumien macht

Es war an einem wunderschönen Abend, der leider durch die Gesellschaft, in der ich mich befinden musste,
erheblich betrüblich dahin siechte. Jener Abend, der so glücklich angefangen aber so glücklos geendet hat. Doch jene Geschichte soll sich auf anderem Bogen wiederfinden, so ich den Mut dazu überhaupt aufzubringen vermag.
Nun jener Abend versprach ein wundervoller zu werden. So wundervoll, dass ich ganz freudig zum größten Discounter der Nähe schlenderte um die erforderlichen Mittel dafür zu besorgen. Gänzlich beschwingt von kulinarischen Ideen und beseelt von herrlich frischem und nicht zu weit gereistem Handelsgut war das Mahl als solches längst geplant, wenn auch unvollständig. Gerade rechtzeitig noch blitzte es in meinem Geiste auf.
„Salz! Du brauchst Salz!“
Welch unglaubliches Glück doch in diesem Discounter zu finden war! Hätten mich die eingeschweißten Gurken, Äpfel und Salate sonst zu naserümpfenden Grimassen verleitet, fand ich dort versteckt am Rande, das gute, alte Bergsalz, welches mich mit dem Anblick eingeschweißter und erstickender Früchte zwar nicht direkt versöhnte aber einem Lichtblick in ewiger Dunkelheit ähnlich kam. Einem Triumphzug ähnlich schwebten die rosa, leuchtenden Kristalle in meinen Einkaufswagen. Es war fast das gleiche Gefühl, wie jenes, das mich immer heimsuchte wenn es lose Kartoffeln oder Zwiebeln vom Bauern um die Ecke gab. Dann bleib ich manchmal, erfasst von himmlischen Gefühlen und von tiefer Dankbarkeit ergriffen, ehrfürchtig vor diese Auswahl stehen und höre Schillers "Ode an die Freude" mit Begeisterung durch meinen Kopf sausen. Sollte in jenem Moment der oder die Verantwortliche sich in meiner Nähe kenntlich machen, wäre diesem Menschen meine innigste und herzlichste Umarmung sicher. Gemäß der Euphorie die Beethoven diesem unvergesslichem Werk zu geben vermochte.
Nun, wie dem auch sei, ich war sehr fröhlich jedes gesuchte Ding endlich gefunden zu haben, schob mich
und den nicht zu reich befüllten Wagen zur Kasse. Und da kam die Frage, der Fragen!
„Kann man das benutzen wie normales Salz?“
Es war ein unpassender Paukenschlag, ach was schreib ich, ein verwünschter und völlig disharmonisch
eingreifender Schlag ins Gesicht aller himmlischen und irdischen Orchester, so dass jegliche elysischen Gefühle ganz und gar vertrieben waren.
Nicht jeder Leser wird sich vorstellen können, welches überraschte und damit vollkommen geistlose Gesicht ich gezeigt haben musste. Vielleicht vermag ein sensible Geist verstehen, welch einschneidende Qual solche Fragen bringen. Insbesondere dann, wenn der Mangel an heimischen Salz einen Menschen zu solchen (ziemlich teuren) Verzweiflungstaten treiben.
So fiel meine Antwort dementsprechend zermürbt aus. „Natürlich! Das ist ja auch Salz und nicht so ein Zeug, wo das beste herausgequetscht wird und dann mit Tabletten und anderem Kram versucht wird Mangelerscheinung zu bekämpfen, die sich der zutiefst der Reinheit verpflichtete Deutsche, gar höchstpersönlich selbst auferlegt hat!“
Meine kleine, mit Hilfe des kurz schwenkendes Kopfes gemachte, Geste Richtung Gemüsetheke verwirrte die Kassiererin nicht. Sie hatte es nicht bemerkt.
„Also kann man das verwenden, wie normales Salz?“ wiederholte sie die Frage und ich sah ein, das meine Antwort sie wohl überfordert hatte.
„Das i s t normales Salz!"
Erklärte ich in erzwungener stoischer Ruhe, wenn auch etwas eindringlicher und lauter.
Und dies muss sich das Weibsbild aus dem Markte schon gefallen lassen, dass nicht weiß, was es da zu verkaufen und abzurechnen hat. Freilich muss ich wohl anerkennend zugeben, dass sie wenigstens gefragt hat. Darum schluckte ich meinen Unmut auch hinunter und blickte wieder recht freundlich in ihre fragenden, eigentlich wunderschönen braunen Augen, die mich dummerweise just in jenem Moment an irgendwelche fetten Würstchen erinnerten.
Ich würgte gar sehr, dass könnt ihr mir glauben an den letzten Worten dieser Begegnung, die ich doch nicht aussprach. Nun aber der Form wegen hier zu platzieren habe. „Salz ist mehr als das Zeug, mit dem man Mumien macht.“

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